Liebe Gemeinde,
es ist einsam geworden um das Jesuskind. Es hat sich wohl von der Reformationszeit bis zu uns herüber gerettet, aber es steht ziemlich alleine da mit seiner Mutter. Es hat Trauben in der Hand, sieht sich als Weinstock, aber es scheint, als wollten wir seine Reben nicht mehr sein.
Es geht ein Riss durch das Bild von der Madonna unter den Tannen. Ein Riss, der sich mit einer, sagen wir mal, rheinischen Birke zu einem Kreuz verbindet. Auch wenn Lucas Cranach der Ältere, also Lucas aus Kronach in Oberfranken, nicht gerade ins Rheinland gehört. Mit seiner Frau Barbara war er 1525 Trauzeuge, als Martin Luther und Katharina von Bora heirateten, dann auch Taufpate von Luthers ältestem Sohn Johannes. Die Krippe und das Kreuz.
Die Feier ward zu bunt und heiter,
mit der die Welt dein Fest begeht.
Mach uns doch für die Nacht bereiter,
in der dein Stern am Himmel steht.
Und über deiner Krippe schon
zeig uns dein Kreuz, du Menschensohn,
dichtete Jochen Klepper.
Manchmal sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Und das geht auch unseren Oberhirten so. Sie meinten doch tatsächlich, Lutherrock und Kardinalsgewand reichten für ihre Rolle, das Kreuz sei verzicht-bar um des lieben Friedens willen. Selbst säkulare Journalisten und nicht nur rechte Christen fanden das befremdlich. Ich hoffe, beide haben es inzwischen eingesehen. In diesen verstörenden Zeiten ist einem manchmal die eigene Rolle nicht mehr bewusst.
Wir Christen, Hirtinnen und Oberhirten sind doch für einen unterwegs, der kein persönliches Risiko gescheut hat, um seinem Auftrag nachzukommen. Auch er erkannte in Gethsemane, was er riskiert hatte bei seinem Gang nach Jerusalem, dahin, wo andere mächtig sind. Und er nahm das Kreuz nicht nur an sich, son-dern auf sich. Aber wäre ich bereit gewesen, die Bürde des hohen Amtes zu tragen? Ich weiß es nicht, wie ich nicht weiß, ob ich wirklich im Widerstand gewesen wäre in diktatorischen Zeiten.
Ich habe das Kreuz hier ihn der Kirche auch abgenommen. Aber aus anderen Gründen. Wir haben ja eines aus Altar und Stele. Und am nächsten Karfreitag sollte es ein neues geben. Damit wir uns nicht ans Kreuz gewöhnen. Aber die Gemeindeversammlung im November hat die längst fällige Entfernung des gebastelten Konfi-Kreuzes nicht aushalten können. Jetzt ist es wieder da bis zur Fastenzeit.
Das Kreuz ist draußen aber vielen entbehrlich geworden. Ich sehe, dass auf Sterbeanzeigen immer mehr Kreuze durch Pusteblumen ersetzt werden. Vom Winde verweht, unser Glaube …
Es geht ein Riss durch das Bild der Madonna.
Und im Reformationsjubiläumsjahr reden manche davon, Luther habe das Kind von der Mutter getrennt, die Maria entwertet wie die Heiligen auch und allein das Christkind Geschenke bringen lassen. Ja, in der Tat, Luther dachte viel nach, nicht nur über die Freiheit eines Christenmenschen, sondern auch über die christliche Erziehung und Glaubenspraxis in seinem eigenen Hause. Das Christ-kind bringt die Geschenke, weil Christus Gottes Geschenk an uns ist. Und wenn wir es auspacken, dann wird lauter Liebe drin sein, kein Kriegsspielzeug – aber doch wohl ein Kreuz, das wir auf uns nehmen müssen um der Liebe willen.
Die ist stärker als der Tod, und darum kann er sagen: … so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht (Mt 11,29c-30).
Luther liebte seinen Heiland. Für ihn war es der einzige Weg, lachend am Teufel, an seinen Depressionen vorbei in die Freiheit, auch in seine persönliche Freiheitsgeschichte aufzubrechen. Am 25.12.1530 predigt er: Maria hütet, säugt und nährt das Kindlein, wie eine Mutter soll. Drum spricht die Vernunft, Gott habe das alles dazu getan, dass wir aus ihr einen Abgott machen und dass man die Mutter ehre. … Und doch lautet der Text nicht zu Ehren der Mutter. Denn der Engel spricht: ich verkündige euch Freude, euch ist er geboren! Also soll ich mich des Kindes und seiner Geburt annehmen und soll die Mutter vergessen, soviel es möglich ist. Wiewohl man ihrer nicht vergessen kann; denn wo eine Geburt ist, da muss auch eine Kindesmutter sein. Dennoch soll man nicht an die Mutter glauben, sondern dass das Kind geboren sei.
Es geht ein Riss durch das Bild von der Madonna, weil wir gerade an Anis Amri denken, der auch eine Mutter hatte, die ihn zur Welt brachte. Sein Leben war kurz wie das Leben Jesu. Aber der Tunesier brachte den Tod und nicht das Leben. Er war nie religiös, sagt seine Familie. Ein Zerrbild Gottes muss ihn zu seinen gottlosen Taten angeleitet haben.
Mein Gott, wie konnten wir dich so aus den Augen verlieren! Du hattest uns doch durch die 66 Bücher der beiden Testamente geboten, die Opfer, die Schwachen, die Verletzlichen nicht aus den Augen zu verlieren. Woran liegt es, dass Hassprediger immer mehr Zulauf haben, während die Liebespredigten kein Gehör mehr finden?!
Ein mörderischer Lastwagen rast in einen Weihnachtsmarkt. Eigentlich dürfte man nur entsetzt und traurig sein über jene, die dabei ihr Leben lassen mussten oder schwer verletzt wurden. Aber die politische Tat verlangt nach Deutungen. Und wir hören plötzlich etwas über die Bedeutung von Weihnachtsmärkten für unsere Kultur, für unseren Glauben, unsere Traditionen. Haben Weihnachtsmärkte eine Aussage? Ich bin mindestens irritiert. So irritiert wie türkische Männer in Kütahya, die jetzt hören, dass das Schlagen ihrer Frau zu ihrem Glauben gehören soll.
In Berlin ist in die süße Weihnachtsmarktluft das Kreuz bitteren Leidens gesteuert worden. Weihnachtsvisionäre wurden wieder auf den Boden der Realitäten heruntergezogen. Besser wäre es gewesen, wenn der Fahrer nicht Menschen in den Tod gerissen hätte, sondern sich selbst hätte mitreißen lassen vom Friedefürsten ins Reich der Liebe und der Versöhnung. Die Flucht nach Italien ging nicht so gut aus wie die Flucht nach Ägypten.
Es geht ein Riss durch das weihnachtliche Bild, weil unsere Weihnachtsfeste zu Familienfeiern ohne göttlichen Gehalt geworden sind. Ist das Christkind zu einem Gabenbringer genau vorbestellter Waren geworden? Sollen wir es dabei belassen, ein niedliches Püppchen in einer Krippe anzuschauen, umgeben von Figürchen aus dem Erzgebirge?
Mit Gewalt werden wir jetzt aufgerüttelt und merken, dass wir etwas feiern, was wir längst nicht mehr ernst nehmen.
An der Stelle höre ich, wie Sie schon wissen, immer auf die Jugendlichen unserer Gemeinde, die ihre höchst sensiblen Ohren am Puls der Zeit haben, noch ehrlich genug sind, nicht jede Äußerung vorher dreimal durch den Mainstreamfilter zu jagen und die Weltgestaltenden von morgen sein werden:
Weihnachten fühlt sich plötzlich falsch an, sagt ihr. Und ihr seid auch ziemlich traurig dabei. Wenn die Rechten die einzigen sind, die sich noch christliche Werte auf die Fahne schreiben und selbst Kirchenleute ihr Kreuz ablegen, dann fühlt sich Weihnachten falsch an, ja.
Ina Praetorius, eine deutsche Theologin, die schon lange in der Schweiz lebt, hat ziemlich früh begriffen, dass sich auch unsere religiöse Traditionswelt, die sich im 19. Jahrhundert formierte, neu zurechtrütteln wird in diesen neu zu definierenden Zeiten.
Sie bleibt optimistisch und gesteht uns eine Leerstelle zu:
Noch offen
Es ist gut, dass heute nicht mehr alle von
„Gott“ reden.
Viele haben das Wort in die Ferien geschickt.
Es soll sich ausruhen von all den Belastungen,
die man ihm auferlegt hat:
Herrschaft, Kontrolle, Rache, Strafe
Welche Wörter werden zu uns zurückkommen?
Erfrischt, erneuert?
Wie werde ich ES nennen, das ich liebe
von ganzem Herzen, von ganzer Seele und
von ganzem Verstand?
ES trägt schon.
Geduldig wartet ES mir entgegen, auch
wenn ich noch nicht weiß, wie reden …
(Ina Praetorius)
Lieber Jesus,
du kannst nicht auf deinem Samtkissen sitzen bleiben.
Du musst erwachsen werden und das Eigene am Andern prüfen.
Wie stehen wir da mit unserem Heiland, wenn andere anders glauben oder gar nichts mehr glauben?
Vor wenigen Jahrzehnten dachte man in der Theologie über die Königsherr-schaft Christi im Gegenüber zum totalitären Nationalissozialismus nach und formulierte die Barmer Theologische Erklärung und danach viele Schuldbe-kenntnisse. Dann wurde der christliche Glaube zur Befreiungstheologie für die Armen Südamerika – und schlitterte schließlich von der Moderne in die Post-moderne. Jetzt wird sich das Kind in der Krippe vor den anderen Religionen rechtfertigen müssen.
Wir sind irritiert, weil der christliche Standpunkt nicht mehr selbstverständlich ist und erleben selbst, dass wir ihn preisgeben. Werden wir ihn preisgeben müssen, um sein Wesen zu bewahren? Wird er sich verflüchtigen wie die Schirmchen einer Pusteblume und anderswo neu aufblühen?
Weihnachten ändert sich, mit oder ohne unser Zutun. Die Reformation ist – wie vor 500 Jahren und übrigens auch vor 1000 Jahren nicht das Werk eines Einzel¬nen, sondern eine Transformation, die irgendwie in der Luft liegt. Sie war ein Werk göttlichen Geistes, so glauben geistlich Feinfühlige. Wir dürfen gespannt sein dürfen, ob sich die Traditionen wieder sortieren, um zu bleiben oder ob sie sich auflösen in ein neues Ganzes.
Viele dachten in der Reformationszeit, diese neue Bewegung reiße alles nieder, was Halt gab. Der Reformator ging in den ersten Jahren forsch voran, wurde von vielen überholt, bekam dann selber Angst und ruderte zurück. Seine Brems¬manöver haben vielen Leibeigenen nicht die Freiheit gebracht, sondern das Leben gekostet in den Bauernkriegen – aber auch vieles gerettet, was sich sonst in Beliebigkeit aufgelöst hätte.
Jesus, du musst in den Stall zurück, wo die Armen sind und die Schwachen.
Nimm alle Intellektuellen mit, die über Populisten schimpfen, nimm alle Politiker_innen mit, die nicht mehr wissen, wie der Stall riecht, aus dem sie kommen. Dort riecht es nach Wut und Widerwillen. Da sind die Nichtlesenden, die trotzdem zu einer Meinung kommen, und merken, dass ihnen Informa-tionen gezielt vorenthalten werden. Diese Filter sollen der Angst vor dem Fremden die Nahrung entziehen. Wenn dann doch etwas durchsickert, leidet das Vertrauen in den Staat.
Dass die Herodesse sich genauso selbstherrlich gebärden wie ehedem und ihre Einkünfte mehr im Blick haben als ihre Regierungsverantwortung, merken sie auch.
Dass sich die Einflussreichen Boni fürs Versagen zuschustern, während Handwerker, die auch in unserer Kirche arbeiten, sich nicht einmal eine eigene Wohnung in Bonn leisten können, dass wissen sie.
Wir gutriechenden Hirten müssen in den Stall und Leserbriefe lesen statt Coachingratgeber. Sonst wird sich die Herde andere Hirten suchen.
Herodes wusste genau, woher ihm Gefahr kommt. Die drei Weisen haben andere Konsequenzen gezogen als er. Sie waren weise genug, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Ach, wäre er doch selber hingegangen. Er hätte nicht morden müssen.
Im Stall hätte er auch die Geringverdienenden gefunden, die nach einfachen Wahrheiten riechen, nach Parolen der Abgrenzung. Sie wünschen sich ein einfaches, verstehbares Leben und wollen nicht übers Ohr gehauen werden, obwohl sie als letzte noch arbeiten.
Irritationen, weil eine Welt ins Wanken gerät.
Verworren – nennt der Sprachkünstler Franz Mon diese Zeit. Konfus – sagen andere.
Wie viel Entgegenkommen ist nötig, damit es eine Verständigung gibt? Wie viel Konservierung des je Eigenen ist nötig, damit sich am Ende nicht alle Tradition und Religion bis zur Unkenntlichkeit des Besonderen in ein undefinierbar-waberndes Allgemeines auflöst.
Es wird sehr spannend sein zu beobachten, ob wir im Zeitalter der weltweiten Vernetzung in die Streuung gehen oder in eine Bewahrung zurückrudern werden. Weihnachten in 10 Jahren – was wird das werden? Was hier bröckelt, expandiert in China: Jährlich gewinnt die Christengemeinde ½ Million Menschen. Und wir staunen, wie gut sie im Fernen Osten sind im Bewahren unserer Traditionen, die eigentlich auch unsere nicht sind, sondern nach Bethlehem Efrata gehören, der kleinsten unter den Städten in Juda.
Ach, lasst uns doch in Ruhe mit euren Irritationen. Wir gehen jetzt einfach Weihnachten feiern!
Auch davon kannst du selig werden.
Denn er wird der Friede sein. (Mi 5,4a)
Amen.
Pfarrerin Dagmar Gruß