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Johanniskirche

Ev. Johanniskirchengemeinde Bonn-Duisdorf

Ein Gespräch von zwei Prädikanten der Evangelischen Johanniskirche Bonn-Duisdorf zu Zeiten des Corona-Lockdowns

Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht,
vor dem Pfeil, der des Tages fliegt, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche,die am Mittag Verderben bringt.
Denn der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht.

Psalm 91, 4-6+9


Henrike: Der Wunsch wurde laut, dass wir, die wir in der Johanniskirche immer mal wieder den Predigtdienst übernehmen, ein paar theologische Gedanken äußern zu der jetzigen besonderen Zeit der Corona-Pandemie. Gar nicht einfach, aber als Predigende sind wir herausgefordert, auch jetzt und heute Worte zu finden, die den Aussagen der Bibel gerecht werden. Was fällt dir dazu ein?

Robert: In dieser Zeit wird doch besonders deutlich, dass wir als Menschen in jeder Hinsicht begrenzt sind. Vielleicht werden wir durch die Absolutheit, in der nun alles stoppt, besonders dazu aufgefordert, zu überdenken, was wirklich zählt und was wirklich trägt in unserem Leben? Tragen mich diese vielen Termine und die vielen Aktivitäten, die in „normalen“ Zeiten meinen Terminkalender füllen? Habe ich nicht vielleicht erst jetzt wieder Zeit für eine eigene Frömmigkeit, für innere Einkehr? Macht mich diese Zeit der Reduzierung auf meine engste Umgebung nicht dankbarer, dass es diese Menschen gibt?

Henrike: Ja, ok zum Nachdenken fordert diese Zeit auf. Es drängen sich aber auch viele Fragen auf, z.B. die, wo unser Gott in der Pandemie ist? Hat er den Virus als Strafe geschickt, oder hält er sich einfach fern und sieht zu oder…?

Robert: Ich denke, Gott hat mit allem etwas zu tun, das in meinem Leben passiert. Ich kann nicht beantworten, ob er das Virus gewollt hat oder nicht. Aber diese Frage ist für mich auch nicht zentral wichtig. Wichtig ist für mich: Wie ist meine Beziehung zu ihm? Hat sie sich vielleicht geändert?
Beten ist für mich wichtiger als vorher, vor allem die Fürbitten sind wichtiger jetzt. Gott wird zum Mittler, der die Verbindung hält zu denen, die ich nicht treffen kann, die ich nicht mehr spontan sehe, aber mich doch nicht aufraffen kann anzurufen. Fürbitten machen die eigene Hilflosigkeit leichter erträglich. Sie ermöglichen Handeln, wo kein Handeln möglich ist:
„Bleib bei den Anderen, Gott. Bei denen, die Angst haben während wir maximal etwas besorgt sind. Bei denen, die einsam sind, weil sie nicht zu viert sind wie wir. Bei denen, die einfach nur kraftlos sind, während wir einen Corona-Tagesablauf gefunden haben. Bei denen, die sich jeden Tag gegen das Virus schützen müssen, während wir zuhause gemütlich am Schreibtisch arbeiten.“

Henrike: Ja das Beten für andere ist eine besondere Form solidarischen Handelns. Dass wir von Gott reden und mit Gott reden können, ist das, was wir als Christen zur Bewältigung der Corona-Pandemie beitragen können. Auch Menschen anderer Religionen können natürlich beten, ihr Gebet kann ich nicht beurteilen. Wenn ich aber über das christliche Beten nachdenke, so fällt mir auf, dass es sehr vielfältig ist: Da gibt es die Möglichkeit, dass wir Ungerechtigkeiten und schlimme Zustände beklagen können. Wir geben dem Leid, dass stumm geschieht, eine Stimme, die laut wird für andere Menschen und die zum Himmel schreit. Wir können bitten und damit unsere und die Herzen anderer erweichen, dass Hilfe geschieht. Und wir können Gott danken für die vielen Menschen, die sich selbstlos einsetzen und sich für andere engagieren. Vielleicht können wir sogar Gott loben, der uns hier leben lässt als freie geliebte Kinder, die viele Möglichkeiten haben, schon hier etwas in seinem Sinne zu leben und zu gestalten.

Und wenn wir uns ganz verletzlich fühlen, können wir mit dem Gott sprechen, der für uns eine Perspektive über die sichtbare zerbrechliche Welt hinaus hat. Wenn Menschenmacht zu Ende ist, um Leben zu bewahren, dann ist Gottes Macht noch nicht zu Ende. Wie sagt es der Theologe Günter Thomas: „Die christliche Hoffnung … ist eine trotzige Hoffnung darauf, dass Gott sich auch angesichts der Corona-Krise den ungezählten und für uns oft bleibend namenlosen Opfern nochmals schöpferisch zuwendet. Der Grund für diese trotzige Hoffnung liegt in dem Versprechen, das sich in der Auferweckung des Gekreuzigten ereignet hat.“ (s. Günther Thomas, In: Zeitzeichen, 21. 2020. S. 14)

Robert: Ja, Gott ist unser Ansprechpartner, einer, der mit sich reden lässt. Er ist aber auch der Gott, den wir nicht fassen können. Er offenbart immer nur einige Schlaglichter von sich, wird nie greifbar und lässt sich nie in die Karten schauen. Vielleicht weil wir seine Übersicht über die Welt auch gar nicht verstehen würden.
Er lässt uns die Dinge von sich wissen, die wir wissen müssen, um ihm vertrauen zu können, um ihn als Zuflucht verstehen zu können. Barmherzigkeit ist seine wichtigste Eigenschaft. Dazu passt für mich nicht der Gedanke, dass er Naturkatastrophen auslöst. Zumal wir bei Corona auch gute Anhaltspunkte finden können, dass eher wir Menschen schuld an der Entstehung dieser Pandemie sind. Der Gestaltungswille des Menschen ist grenzenlos, aber er braucht Grenzen. Und diese Grenzen sind die Anderen, die Mitmenschen, über deren Leben wir nicht verfügen dürfen. Auch nicht, indem wir bei unserer Gier nach Rohstoffen für unseren Lebensstil die Lebensgrundlage von Mitgeschöpfen, Menschen und Tieren, zerstören. Gott ist natürlich bei den Leidenden, aber auch bei denen, die seine Schöpfung schützen wollen und bei denen, die seinen Willen tun, indem sie ihren Nächsten ohne Rückfragen helfen.

Gottes Schöpfung ist komplex und alles hängt mit allem zusammen. Wer das nicht verstehen will, der bringt nicht nur die Schöpfung, sondern auch sich selbst und im schlimmsten Fall auch seine Mitgeschöpfe in Gefahr. Nach Gottes Willen leben heißt, bei sich selbst anzufangen und sich seiner eigenen Verantwortung für Mitmensch und Schöpfung bewusst zu werden. Und dann auch entsprechend zu handeln. Vielleicht kommt die Kraft, dies zu tun, ja aus Gottes Hand?

Henrike: Hoffentlich bekommen wir Kraft aus Gottes Hand, Dinge zu ändern.
Es klingt bei dir ein bisschen so, als hätte Gott die Krise zugelassen, damit wir mal wieder in unsere Schranken gewiesen werden und so zur Besinnung kommen? Das Bittere ist nur, dass wieder einmal die Schwachen und Armen der Erde, die am wenigsten dazu beigetragen haben, dass es zu so einer Krise kommt, den größten Schaden haben. Deswegen fällt es mir zur Zeit schwer, solche Liedtexte wie „Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret!“ zu singen. Warum „regiert er nicht herrlich“? Ich leide mal wieder an dem fernen Gott, der viele Menschen dieser Welt alleine lässt. Warum tut er das?  Vielleicht weil er uns, seine Ebenbilder, alleinverantwortlich handeln lassen will? Oder weil er wie Eltern mit Kummer zusieht, wie wir die Konsequenzen unseres Handelns tragen müssen, um etwas zu lernen? Oder vielleicht auch, weil er so ganz eindeutig auf der Seite der Schwachen und Armen steht – wie auch Jesus, der sich selbst hinrichten ließ und nicht mit Macht und Gewalt seine Gegner wegfegte. Die Ohnmacht Jesu aushalten, heißt für mich auch, dass ich nicht mehr so locker den allmächtigen Gott loben kann. Jesus lebte in dieser Welt sein konsequent liebevolles ohnmächtiges Leben und er ging darin auch zugrunde. Jesus erscheint uns Menschen als ohnmächtiger Gott, auch wenn er Wunder tat. Er starb verlassen von Gott am Kreuz. Gottes Macht und Schöpferkraft wird erst später so richtig sichtbar in Jesu Auferstehung. Ja, dann gibt es etwas, was alle Menschen und die ganze Schöpfung aus der Verletzlichkeit und dem Sterben herausreißt. Das ist auch unsere große Hoffnung. Ostern heiß für mich: Gott hat doch das letzte Wort. Das glauben wir Christen und das ist unsere große Hoffnung und Kraft, die uns hier in dieser Welt hilft, als Nachfolgende Jesu zu leben und zu handeln.

Robert: Ja, Hoffnung macht den Unterschied. Christen entscheiden sich für Hoffnung. Hoffnung, dass Gott wirklich da ist und auch letztendlich „herrlich regiert“ und mich „sicher führt“.
Ist es nicht auch eine Entlastung, dass ich den Sinn in all dem nicht selbst suchen muss? Dass ich es gar nicht verstehen muss? Überfordert es mich nicht, wenn ich die grausamen Seiten dieser Welt sehe und mir keinen Reim darauf machen kann? Wenn ich einfach nicht verstehen kann, welchen Sinn man darin noch finden kann? Vielleicht mache ich es mir auch viel zu einfach, wenn ich sage: Gott versteht, Gott lenkt gut, am Ende wird er recht behalten mit seinem Regiment der Welt.
Gott ist der Grund, warum ich nicht verzweifeln muss. Ich kann anklagen, bitterlich weinen, schreien: Aber am Ende habe ich ein Gegenüber dafür. Einem, den ich verantwortlich machen kann. Und dem ich sagen kann: Mach doch was! Zeige mir, was ich machen kann! Zeige mir deinen Sinn. Am Ende hat bei mir immer das Vertrauen in Gott gewonnen über die Zweifel und die Angst. Manchmal war das eine ganze Weile nicht klar: Wie komme ich aus der Krise? Mit Gott oder doch besser endgültig ohne ihn?
Bisher habe ich ihn nicht losgelassen, wie Jakob der am Jabbok mit ihm ringt: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Ich lasse dich nicht gehen: Zeig mir deinen Weg für mich, nimm mich mit, gib mir neue Hoffnung! Das kann sich dann schon wie ein geistlicher Ringkampf anfühlen.

Henrike:Zum Glück kämpfen wir nicht alleine, sondern sind als Gemeinschaft unterwegs.

Robert: Ja, Kirche und Gemeinschaft hilft: Lieder, die andere singen, Gebete, die andere vortragen. Mit ihren Worten. Den vertrauten Worten. Auch aufgenommen und abgespielt wie in dieser Zeit, halten sie die Erinnerung an die guten Zeiten wach, sprechen von Hoffnung, die ich vielleicht in dem Moment gar nicht fühlen kann. Ich kann die Worte und Klänge einfach stehen lassen. Sie wirken lassen. Manchmal bleibt ein Ohrwurm.
Und manchmal ringe ich vielleicht noch tagelang mit den Worten, die andere von Gott gefunden haben. Nicht nur ich lasse nicht los: Auch die „Gottesworte“ lassen mich nicht los.
Vielleicht lässt Gott mir die Illusion, mich für ihn entschieden zu haben. In Wirklichkeit lässt er mich einfach nicht los und fängt mich immer wieder ein. Subtil und ohne dass ich mich eingefangen fühle.
Wie genau der allmächtige Gott der mitleidende Gott sein kann, ist ein Geheimnis, das ich nur staunend zur Kenntnis nehmen kann. Das bringe ich nicht zueinander. Aber das muss ich auch nicht. Auch dieses Geheimnis kann ich Gott anvertrauen. Da ist es gut aufgehoben. Und manchmal verstehe ich es ein bisschen besser als an anderen Tagen.

Geschrieben von Bärbel Goddon am 22. Juni 2020

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