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Johanniskirche

Ev. Johanniskirchengemeinde Bonn-Duisdorf

Reformatorinnen in die Kirchengeschichtsbücher!

Luther 2017 - 500 Jahre Reformation
© 2016 Evangelische Kirche in Deutschland

Martin Luther, Huldrych Zwingli, Johannes Calvin – diese Namen fallen uns zum Reformationsjubiläum ein. Vielleicht noch Caspar Cruciger, Johannes Bugenhagen, Justus Jonas.
Auch die Widersacher Martin Luthers sind manchen geläufig: War es nicht Andreas Bodenstein zu Karlstadt, der ein bisschen zu stürmisch voranging und die Stadtkirche verwüstete? War es nicht Thomas Müntzer, der die Reformation in geistgewirkte Sozialreformen umsetzen wollte? Hatte nicht Johann Tetzel das Seelenheil verkauft wie geschnitten Brot und Kaiser Karl V. die Reformatoren wie die Türken abwehren wollen? Männer schaffen den Sprung aus der Wirklichkeit in die Geschichtsbücher. Frauen kommen unterwegs abhanden, werden in Klöstern, Küchen und Kindbetten vergessen, sorgen für den Alltag und seine Freuden, für Bedürfnisse und Nachwuchs, aber nicht für große Gedanken und Weltbewegendes. So könnte man meinen. Doch wer genauer hinschaut, findet auch in Weiberstuben Wissen und Weisheit, Gelehrsamkeit und Eigensinn, Flugblätter in hohen Auflagen, Kirchenlieder, die wir heute noch singen, Bibliotheken und Bibelstudium, altphilologische Genies, Lektüre der Heiligen Schrift, lange bevor Luther sich ans Übersetzen machte. Wir müssen die Geschichtsbücher neu schreiben, es fehlt die Hälfte.

Es fehlen die Regentinnen, die durch kluge Personalpolitik und neue Kirchenordnungen die Reformation vorantrieben. Es fehlen klosterflüchtige Nonnen, die nachher Schulen aufbauten und reformatorische Lehrbücher verfassten. Es fehlen Äbtissinnen, die ihre Klöster und ihre Leitungspositionen verteidigten. Es fehlen die vielen Reformatorenfrauen, die den Zölibatsbruch ihrer geistlichen Männer schriftlich begründeten und zahlreiche Kinder christlich erzogen, die gastfreundliche Häuser führten, in denen viele reformatorisch Gesinnte Unterschlupf fanden, was oft auch Lebensrettung bedeutete. Es fehlen die Frauen, die sich auf Kanzeln träumten und Leichenreden auf Friedhöfen hielten. Es fehlen die Frauen, die mit Öffentlichkeitskampagnen evangelisch gesinnte Studenten vor ihren Professoren an Universitäten verteidigten. Es fehlen die Frauen des Hochadels, die ihre Verbindungen spielen ließen, um reformatorische Netzwerke zu knüpfen, die Herzoginnen, die ihre Männer überzeugten, mehr zu wagen als den alten Glauben, den die päpstlich-kaiserliche Allianz vorschrieb und dabei ungeniert Geld und Macht für eigene Zwecke aufhäufte. Es fehlen die Tischreden der Tischdeckenden, die es auch gab, die aber undokumentiert verhallten. Es fehlen die Seelsorgerinnen, die an Sterbebetten gerufen wurden, in Gefängnissen Besuche machten und sich in Bibelkreisen trafen, wo ihre selbstständige Auslegung gehört wurde. Es fehlen die Mahnerinnen zu Toleranz und Einigung im evangelischen Lager und die Mutigen, die ihrem Gewissen gefolgt sind. Die Täuferinnen fehlen und die wagemutigen Rebellinnen, die gegen die Leibeigenschaft der Bauern gute, geistliche Argumente vorbrachten.

Sie hießen Katharina von Bora, Katharina Zell, Katharina Melanchthon und Herzogin Katharina von Sachsen, Ursula von Münsterberg, Elisabeth Cruciger und Magdalena Heymair, Caritas Pirckheimer und Anna Stolberg, Ursula Weyda und Argula von Grumbach, Olympia Fulvia Morata und Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth von Rochlitz, Elisabeth von Calenberg und Elisabeth Silbereisen, Anna Zwingli, Margarete von Navarra und Marie Dentière.

Inzwischen gibt es Filme von Katharina von Bora und Katharina Zell, eine Wanderausstellung der Evangelischen Kirche im Rheinland und im Bonner Frauenmuseum. Schauen Sie einmal hinein und lassen Sie sich überraschen von Zitaten aus ihren Schriften. Ohne die Unterstützung der Frauen hätte es keine Reformation gegeben, sagt Martin H. Jung, seit 2002 Professor für Historische Theologie und Kirchengeschichte an der Universität Osnabrück. Und die zahlreichen, wertschätzenden Briefe Luthers an viele verschiedene Frauen seiner Zeit bezeugen dasselbe. Freilich gab es nach dem reformatorischen Aufbruch bis Mitte/Ende der 1520er Jahre und den vielen Hoffnungen, die sich Frauen auf ein selbstbestimmtes Leben in der Kirche gemacht hatten, dann auch wieder ein böses Erwachen. Hoffnungen der Frauen wurden in der sich konsolidierenden evangelischen Kirche bald wieder zerstreut, evangelische Prediger stellten genauso vehement ihre Lehrautorität heraus wie ehedem die altgläubigen, papsttreuen Autoritäten. Entflohene Nonnen fanden sich nicht in der Freiheit, sondern als Hausmägde oder Prostituierte wieder. Autorinnen sahen ihre Schriften unter männlichen Namen veröffentlicht und vier Zeitgenossinnen Luthers verbrannten auf einem Scheiterhaufen in Wittenberg. Der Reformator schwieg dazu. Ehefrauen, die ihre Pfarrhäuser gut bewirtschaftet hatten, waren als Witwen nicht erbberechtigt und in den Konfessionskriegen ging manches Schriftstück unter. Es sollte noch 450 Jahre dauern bis zur rechtlichen Gleichstellung von Frauen im Verkündigungsdienst. Wir müssen uns nicht in neuzeitlichem Übermut üben. Zu allen Zeiten gab es Frauen, die die Welt bewegten. Wir wissen nur zu wenig von ihnen.

Reformation ist …, wenn die evangelische Kirche heute stolz ist auf ihre Predigerinnen und sie nicht als Hindernis für den ökumenischen Dialog betrachtet. Margot Käßmann, die Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, hatte im Ökumenischen Rat der Kirchen dafür geworben.
Reformation ist …, wenn es auch in anderen Religionsgemeinschaften Hüterinnen des Heiligen gibt.

Dagmar Gruß

(Pfarrerin der Ev. Johanniskirchengemeinde Bonn-Duisdorf und Synodalbeauftragte für Frauenfragen im Ev. Kirchenkreis Bonn)

Geschrieben von Bärbel Goddon am 14. August 2017

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